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DIE ZEIT/Dossier, Nr.15, 15.April 1982, S.9-12

Titel: „Ich wollt, ich wär kein Huhn – Die Tierschützer fordern ein Verbot der Hühner-Gefängnisse – haben sie recht?

© 1982 DIE ZEIT und Dieter E. Zimmer

 

 

 

Vögel auf der Galeere

Die Käfighaltung von Legehennen

Von Dieter E. Zimmer

 

WAS AUCH IMMER Edles er von sich halten mag: Der Mensch ist ein Raubtier. Er jagt seine Beutetiere nicht mehr, oder nur noch manchmal und zum Vergnügen – er „hält“ sie, beutet sie aus, tötet sie bei Bedarf. Das Beutemachen wurde ganz an den Rand der Gesellschaften verlegt. Wer ein Schnitzel brät, denkt nicht daran, daß andere für ihn einen Paarhufer abgestochen haben; wer sein Frühstücksei aufpickt, daß dafür einem Urwaldvogel das Gelege ausgeraubt wurde. Von den räuberischen Grundlagen seines Lebens ahnt der Stadtmensch kaum noch etwas, will er auch gar nichts mehr wissen.

Wo er noch an Tierhaltung denkt, hat er die sanften Bilder von Reklame und Kinderbüchern vorm Auge: Kühe mit ihren Kälbern auf der grünen Weide, den Hahn, der den Bauern morgens aus dem Schlaf kräht. Mit der Tierhaltung, die sich seit etwa zwanzig Jahren ausgebreitet und so gut wie vollständig durchgesetzt hat, haben diese Bilder nichts mehr zu tun. Aus der landwirtschaftlichen Tierhaltung ist ein Wirtschaftszweig geworden, regiert vom ehernen Gesetz allen Wirtschaftens: mit dem geringsten Einsatz von Kapital und Arbeitskraft einen maximalen Wert zu erzeugen.

In diesem Produktionsprozeß sind unsere ehemaligen Nutztiere zu Fabriktieren geworden: anfällige, aber unerläßliche Roboter, die möglichst kostengünstig und wartungsfrei pflanzliches Futter in tierisches Eiweiß umsetzen, „Tiermaschinen“, wie die britische Ökologin Ruth Harrison sie 1964 in ihrem gleichnamigen Buch nannte. Die Umwandlung des Bauernhofs unserer kindlichen Vorstellungen in Agrarfabriken hat den Abstand des normalen Essers zum Ursprung seiner Nahrung noch einmal vergrößert.

Der Mensch hat sich einige Tiere zu Gefährten auf seinem Weg in die Zivilisation gemacht, hat sie gezähmt und gezüchtet, also über Generationen hin nach seinen Bedürfnissen genetisch umgebaut. Sie leben in dieser Zahl und in dieser Form nur, weil und solange sie ihm Nutzen bringen. Tierschutz ist immer nur eine relative Sache; letztlich schützt der Mensch seine Beutetiere ebensowenig, wie jedes andere Tier sie schützt. Die Frage ist nur, wie glimpflich er sie behandelt, bis er sie verzehrt.

Wer vor diesen Tatsachen die Augen verschließt, belügt sich; auch, wer meint, die Menschenmilliarden, die die Erde immer dichter besiedeln, ließen sich ohne intensiven Pflanzenanbau und intensive Tierhaltung ernähren. In der Bundesrepublik zum Beispiel werden im Jahr 17,8 Milliarden Hühnereier verbraucht. Das sind 289 Eier pro Kopf. Jeder Deutsche hat sozusagen 1,2 Hennen, die für ihn legen. Hintereinander aufgereiht, bildeten die jährlich von den Deutschen verspeisten Eier eine fast eine Million Kilometer lange Kette – oder ein 180 Quadratkilometer großes Omelett. Wenn uns die Intensivhaltung unsympathisch ist, müßten wir auch bereit sein, einen viel höheren Preis für jedes Ei zu zahlen. Das Ei eines „natürlich“ lebenden Huhnes, das frei auf einem Stück Land herumtuckte und im Winter zwar fräße, aber nicht mehr legte, müßte 50 Pfennig bis eine Mark kosten. Und es wäre ohne Dienstverpflichtung in der Landwirtschaft in den jetzigen Mengen gar nicht zu beschaffen.

Seit der ökologische Gedanke an Boden gewonnen hat, ist vor allem die Käfighaltung von Legehennen (in den zwanziger Jahren in den USA entwickelt, in Deutschland in den frühen Sechzigern eingeführt) ein ständiger Streitgegenstand gewesen. Hühnerhalter und ihre Interessenverbände, Landwirtschaftsministerien, die Parlamente, die Agrarbürokratie der Europäischen Gemeinschaft, Agronomen, Verhaltensforscher, Tiermediziner, Tierschützer, Verbraucher und Verbraucherverbände, in zunehmendem Maß auch Juristen – alle haben sich immer und immer wieder mit der Frage beschäftigt: Ist die Käfighaltung Tierquälerei? Außenstehende können sich keinen Begriff machen, mit welcher Erbitterung und Giftigkeit diese Kontroverse geführt wird. Kein Wunder, denn in dieser bekriegen sich die beiden wahren Leidenschaften der Deutschen: die Liebe zum Geld und die Liebe zum Tier.

Die Hühnerhalter fürchten, von den Politikern unwirtschaftliche Auflagen zu bekommen, die ihnen die Existenzgrundlage nehmen; sie fürchten, angezeigt und wegen Tierquälerei bestraft zu werden; sie erleben bereits, daß ihre Kinder in der Schule geschnitten werden. Wer für die vermuteten Bedürfnisse der Tiere eintritt, gilt in den Augen der „Realisten“ als sentimental, romantisch, ein weltfremder Spinner. Wer auf der anderen Seite irgendeinen Zweifel daran äußert, ob die Tiere so leiden, wie manche Tierschützer es voraussetzen, wird von diesen sofort verdächtigt, ein Sadist, ein gekaufter Lakai der Agrarindustrie zu sein. Zwischentöne kennt diese Kontroverse nicht.

 

DIES IST der Lebenslauf eines modernen Durchschnittshuhns.

Es ist mit Hilfe der höheren Mathematik konzipiert worden, in einem der wenigen „Zuchtbetriebe“, die darauf spezialisiert sind, ihm durch Kreuzung und Wiederkreuzung erwünschte Merkmale an-, unerwünschte abzuzüchten. Hocherwünscht ist die Legeleistung. Die freien Ahnen des Haushuhns, die Bankivas oder „roten Dschungelhühner“ Südostasiens, legten nur fünf bis sechs Eier im Jahr. Um 1870 waren Linien gezüchtet, die es auf 80 Eier im Jahr brachten. Um 1950 betrug die durchschnittliche Legeleistung schon 120 Eier. Die heutigen Mischrassen, Hochleistungshybridhennen mit Namen wie „LSL“ oder „Warren“, bringen es auf über 300 Eier im Jahr – der Durchschnitt liegt bei 242.

In Zuchtbetrieben gleichsam entworfen, wird das Hybridhuhn in „Vermehrungsbetrieben“ hergestellt. In einigermaßen geräumigen Käfigen oder auf dem Boden künstlich beleuchteter Schuppen leben riesige Herden von „Elterntieren“, darunter etwa zehn Prozent Hähne, und legen Eier nur für den Brutschrank (dessen Vorformen es schon im alten Ägypten gab).

Handelt es sich um Fleischrassen, also um künftige „Brathähnchen“ (die ebensooft Brathühner sind), auch „Broiler“ genannt, so werden die Küken im Blitztempo, nämlich in etwa sieben Wochen zum „Schlachtkörper“ gemacht. In also nur fünfzig Tagen, in denen sie etwa drei Kilo Futter (inklusive Antibiotika) fressen, erreichen sie ein Gewicht von etwa 1,5 Kilo. Ihre sieben Lebenswochen verbringen sie in größter Enge: 20 bis 25 Tiere pro Quadratmeter. Zu jedem Zeitpunkt werden in den „Mastbetrieben“ der Bundesrepublik etwa 24 Millionen solcher Riesenbabyvögel herangefüttert.

Mit den Legerassen wird anders verfahren. Ihre Küken werden gleich nach dem Schlüpfen „gesext“. Denn aus 52 Prozent aller Eier schlüpfen unweigerlich Hähne, und die werden nicht gebraucht. Das Aussortieren besorgen vier weltweit operierende japanische und koreanische Firmen; nur Ostasiaten sind in der Lage, schnell, sicher und konzentriert genug Hennen- von Hahnküken zu unterscheiden. Allerdings gibt es auch schon Hybriden, bei denen die männlichen Küken durch einen dunkleren Flaum auffallen. Die unnützen Hahnküken werden auf der Stelle, und zwar mit Kohlendioxyd, vergast, ihre Kadaver als Tierfutter verkauft – etwa an Nerzfarmen oder Falknereien, zuweilen auch als Schweinefutter.

Die gesexten Küken (jedes von ihnen ist 1,35 bis 1,70 Mark wert) werden in Pappkartons verpackt und in „Aufzuchtbetriebe“ geschafft. Hier werden sie, manchmal in Käfigen, manchmal auf dem Boden, so lange gefüttert, bis sie in ihrer zwanzigsten Lebenswoche zu legen beginnen. Mit etwa fünf Monaten also werden sie in einem „Ablegebetrieb“ eingestallt. Ihre Arbeit beginnt, und die heißt: möglichst wenig fressen, möglichst viel Eiermasse erzeugen.

Im Laufe dieser Legeperiode steigert sich ihre Leistung bis zum dritten Monat schnell, dann aber fällt sie langsam ab. In der Natur würde das Huhn sieben oder mehr Jahre alt werden; es hörte gegen Winter hin auf zu legen, erneuerte sein Federkleid und begänne im nächsten Frühjahr wieder zu legen, und das mehrere Jahre hintereinander. Die Hybridhennen der Intensivhaltung überleben ihre erste, künstlich verlängerte Legeperiode nicht. Nach fünfzehn Legemonaten wird die ganze Herde in die Schlachterei gefahren. Hier wird jedes Tier mit den Ständern kopfunter in eine kleiderbügelartige Halterung gehängt und automatisch in eine Anlage transportiert, in der es erst durch einen elektrischen Stromstoß betäubt, dann geköpft, dann durch rotierende Gumminoppen gerupft, dann ausgenommen, dann folienverschweißt und schockgefroren wird. Als „Suppenhuhn“ erreicht es die Esser, meist ziemlich mager, denn wenn es aus der Käfighaltung stammt, hat es sich in seinem Leben kaum bewegt, und weder Schenkel noch Brust haben viel Muskelfleisch angesetzt.

 

DIE LEGEHENNE hat in ihrem Leben durchschnittlich 300 Eier gelegt. Jedes Ei hat den Halter durchschnittlich 15,6 Pfennig gekostet. Durchschnittlich bekommt er Halter 17,2 Pfennig dafür – mehr, wenn er es direkt an den Endverbraucher absetzt, weniger, wenn er große Mengen an Packstellen verkauft.

Wer diese Zahlen näher ansieht, wird sich schnell davon überzeugen, daß keine Landfrau von ihrer Hühnerschar irgendein Leben fristen könnte. Wer weniger als hundert Hühner hält, und das sind immerhin noch über 400 000 Landbewohner, tut es nur für den eigenen Bedarf. Die kommerzielle Hühnerhaltung beginnt mit mindestens hundert Tieren; zum Hauptberuf wird sie frühestens mit einigen tausend. Es gibt 15 000 solche Halter in der Bundesrepublik – vorwiegend kleine Familienbetriebe im Südwesten, Hühnerfarmen mit Hunderttausenden von Tieren vorwiegend im Norden und Nordwesten. Sie produzieren die Masse der Eier: für die Handelsketten, für den Export, für die Nahrungsmittelindustrie.

 

ETWA 90 PROZENT der Legehennen werden in Käfigen gehalten, in den anderen EG-Ländern eher mehr und in kleineren Käfigen. Das Normalhuhn ist also ein Käfighuhn, auch Batteriehuhn genannt, da die Käfige in langen Reihen und in drei oder vier Etagen batterieartig angeordnet sind.

Ein normaler Käfig besteht auf allen Seiten aus grobmaschigem Drahtgitter. Er ist durchschnittlich 40 Zentimeter breit, 43 tief, 45 hoch. In ihm befinden sich vier Hennen. Jeder steht eine Grundfläche von 430 Quadratzentimetern zur Verfügung, etwas mehr als ein DIN-A5-Blatt. Der Gitterboden, auf dem sie steht und durch den ihr Kot auf Transportbänder fällt, die ihn regelmäßig wegbefördern, ist schräg, so daß ihre Eier nach vorne aus dem Käfig herausrollen; hier werden sie entweder von Hand eingesammelt oder auf Bändern automatisch aus der Halle transportiert.

Ein anderes Band bewegt sich vorne an den Käfigen vorbei und enthält die feingemahlene Futtermischung. Zu trinken erhalten die Tiere aus den Nippeln einer Wasserleitung, die sich oben durch die Käfige zieht.

Die Ställe sind fensterlos. Automatisch schaltet sich ein dämmeriges Lampenlicht ein. Daß es lange brennt, etwa sechzehn Stunden, simuliert ewigen Frühling und zieht die Legeperiode in die Länge – im Freien ginge die Legeleistung zurück, wenn die Tage kürzer werden. Es riecht im Stall durchdringend nach Ammoniak. Die Hennen kennen keine Jahreszeiten, kein Wetter. Auch sonst passiert nichts in ihrem Leben. Die Reizarmut macht sie schreckhaft, die Keimfreiheit anfällig. Daß sie so dicht stehen, etwa 22 Hennen neben- und übereinander auf einem Quadratmeter Grundfläche, erzeugt Wärme – die Batterieställe müssen nie geheizt werden. Die Wärme ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, daß die Käfighennen so große, lappige Kämme bekommen wie kein im Freien lebendes Huhn. Da die Hühner immer nur auf Drahtgeflecht stehen, kürzen sich ihre Krallen nicht so wie bei ihren Artgenossen, die am Boden scharren und kratzen; sie wachsen in die Länge und biegen sich krumm nach unten.

Äußerlich bieten sie nach einigen Monaten im Käfig ein trauriges Bild: Ihr Federkleid wird immer schütterer. Man weiß nicht genau, woran es liegt, ob sie sich die Federn an den Gittern knicken und abscheuern, ob sie sich anfangen zu mausern, die Mauser unter ihren künstlichen Lebensbedingungen dann aber nicht durchziehen, ob sie sich die Federn gegenseitig herauspicken, „aus Langeweile“. Vermutlich aus allen diesen Gründen stehen sie wie schon teilweise gerupft in ihrem Käfig, mit großen kahlen Stellen besonders an Hals, Bauch und After, bereits dem Suppenhuhn ähnlich, als das sie enden. Die Kahlheit gibt ihnen das Aussehen mißhandelter Tiere; sie ist überdies für die Halter ein ärgerlicher wirtschaftlicher Faktor, denn kahle Tiere strahlen mehr Wärme ab und müssen darum mehr fressen.

 

DIE GRUNDFRAGE aber, ob die Hühner im Käfig leiden, und wenn, wie stark, beantwortet ihr gerupftes Aussehen noch nicht. Menschen, die noch „richtige“ Hühner kennen, stört ihr Aussehen gewiß; aber stören sie sich selber auch daran? In der Natur „passen“ Tiere und Umwelt zueinander, aber was wäre die richtige Umwelt für ein Tier, das ein Artefakt der Züchter ist?

Will man sich der Frage nach dem Leiden der Fabriktiere, nicht nur der Hühner, ernstlich nähern, so muß man zwei Fallen vermeiden.

Die eine ist ein übersteigerter Anthromorphismus. Daß Menschen litten, wenn sie wie Käfighühner leben müßten, ist klar; aber daraus läßt sich noch nicht schließen, daß die Hühner dieses Leben ebenso qualvoll empfinden. Subjektive Empfindungen sind, wie unablässig betont wird, nicht „intersubjektiv“ nachprüfbar und darum grundsätzlich kein Gegenstand objektiver wissenschaftlicher Aussagen.

Die entgegengesetzte Falle ist der Agnostizismus, dem leicht anheimfällt, wer dem Gedanken an die Unzugänglichkeit des eigenen Erlebens anderer Wesen (auch anderer Menschen) die totale Herrschaft überläßt. Zuviel Problembewußtsein kann rundheraus dumm machen, nämlich dann, wenn es auch das noch so Plausible abstreitet, weil der letzte, harte Beweis aussteht.

Die höheren Wirbeltiere sind einander stammesgeschichtlich verwandt. Vieles spricht dafür, nichts spricht dagegen, daß sie alle – der Mensch eingeschlossen – über das Erleben von Lust und Unlust zu bestimmtem Verhalten bewegt, „motiviert“ werden. Jede Art besitzt ihre eigene Lust-Unlust-Matrize, auf Grund deren sie bestimmte Situationen sucht und andere meidet, dieses tut und jenes läßt; diese bestimmt ihr Verhaltensrepertoire. Bei den höheren Säugetieren sind sogar jene mittleren Gehirnregionen, in denen die Erlebnisse der Lust und Unlust, Himmel und Hölle entstehen, denen des Menschen ähnlich, anatomisch wie funktionell. Bei Vögeln kann man nicht so sicher sein – ihr Gefühlsleben mag sich von dem unseren stark unterscheiden. Trotzdem gibt es noch genug Ähnlichkeiten. Der Zoologe Oskar Heinroth sagte, und Konrad Lorenz zitiert es ihm gern nach: „Tiere sind Gefühlsmenschen mit äußerst wenig Verstand.“ Streng beweisen läßt sich das möglicherweise nie; aber es spricht soviel dafür, daß es irgendwann dumm wird zu beteuern: Wir wissen nicht, ob Tiere überhaupt Unlustempfindungen kennen.

In der ganzen Kontroverse hat das Triebmodell von Konrad Lorenz eine große Rolle gespielt. Es ist dem von Sigmund Freud sehr ähnlich und wird von seinen Verächtern, die im Ausland häufiger sind als in Deutschland, spöttisch „Psychohydraulik“ genannt. Dieses Triebmodell besagt: In den Nervensystemen der Tiere (und des Menschen) entstehen endogene Reize. Geeignete Außenreize verstärken sie. Das Reizpotential staut sich auf. Je länger die Reizerzeugung anhält, um so größer wird der Stau, um so mächtiger drängt er auf Entladung, auf „Triebabfuhr“. Sie ereignet sich, wenn ein geeigneter Schlüsselreiz auftritt, der das Triebpotential freisetzt: Dann kommt es zur Triebhandlung. Es ist, als sammelte sich spontan Energie oder eine Substanz im Organismus und erzeugte einen Handlungsdruck. „Alle bekannten angeborenen Bewegungsweisen intakter Tiere … zeigen eine ähnliche Spontaneität, ein ähnliches rhythmisches Wiederkehren“ (Lorenz).

Auf die Käfighühner angewandt, heißt das: Das Fehlen bestimmter Schlüsselreize (des Sandes etwa) verhindert nicht, daß der „Trieb“ (zum Sandbaden) entsteht; es verhindert nur, daß der spontan erzeugte Trieb sich entladen kann. Der Triebstau aber wird als quälend empfunden, als Frustration.

Die Gegenseite behauptet: Wenn nichts in der Umwelt das Tier zu einem bestimmten Verhalten reizt, entwickelt es gar kein Bedürfnis danach, kann es also auch gar nicht frustriert werden.

Die Lorenz-Freud-Schule mochte bisher nicht einsehen, daß es keine besonderen „Energien“ gibt, die sich in den Lebewesen ansammeln und Druck erzeugen. Motiviert werden Tiere nicht durch die Aufstauung irgendwelcher Energien, sondern durch elektrochemische Signale des Nervensystems. Es liegt kein tatsächlicher Energiestau vor – manche, nicht alle, Verhaltensmuster laufen nur so ab, als gäbe es ihn. Für den Sexualtrieb etwa ist das Bild von „Stau“ und „Abfuhr“ einer Energie einigermaßen treffend, aber doch nur ein Bild. Kein Ethologe aber hat bisher aufgezeigt, daß etwa die Flucht vor Freßfeinden, zweifellos eine der von Lorenz gemeinten angeborenen Bewegungen, auch von diesem Bild gedeckt würde. Instinktiv flüchten Hühner vor einem im Gebüsch raschelnden Fuchs. Aber es staut sich in ihnen kein Trieb auf, wenn die Füchse ausbleiben; sie brauchen keine regelmäßigen Fluchten, um ihn „abzuführen“; sie leiden nicht an Frustration, wenn Füchse oder Habichte aus ihrem Milieu verschwunden sind. Daß ihnen in der Intensivhaltung einige Gefahren erspart bleiben, dürfte ihr Wohlbefinden eher erhöhen.

Es hilft nichts: Für jedes Verhalten muß einzeln nachgewiesen werden, ob das Triebstaumodell es zutreffend beschreibt. Die Aussage, eine bestimmte Haltungsform frustriere das Tier zwangsläufig, weil sie innere Energien nicht abfließen lasse, ist unhaltbar.

 

DIE WISSENSCHAFT, die sich mit dem Verhalten der Tiere befaßt, ist erst fünfzig Jahre alt und heißt Ethologie oder Verhaltensforschung. Innerhalb der agronomischen und veterinärmedizinischen Disziplinen nimmt sie eine Stellung ein wie etwa innerhalb der Medizin die Psychosomatik: außenseiterhaft. Und innerhalb der Ethologie selber ist das Interesse an den exotischen Großtieren stärker als an unseren alltäglichen Nutz- und Haustieren. Trotzdem weiß die Ethologie inzwischen fast unübersehbar viel über das Huhn. Leider aber macht auch hier eine Erkenntnis meist auf die nächstgrößere Unkenntnis aufmerksam, und leider gibt es keine einhellige, unbestreitbare und unbestrittene Antwort auf die Frage, wie sehr Hühner in Intensivhaltungen leiden.

Die Geflügelwirtschaft sieht in der Käfighaltung das Optimum, nicht etwa nur für den Halter und den Verbraucher, auch für das Huhn. Daß es nicht leide, zeige sich schon daran, daß es so viele Eier legt – zur Zucht seien immer nur die Tiere verwendet worden, die sich von der Käfigumgebung nicht bedrücken ließen, so daß mit der „Leistungsdepression“ auch das Unwohlsein der Tiere weggezüchtet wurde. Manche Bedürfnisse des alten, freilaufenden Huhnes seien gleichfalls weggezüchtet worden: so die Brütigkeit und der Trieb, zur Eiablage ein geschütztes dunkles Nest aufzusuchen. Dazu genieße das Käfighuhn Vorteile, die das freie Huhn nicht hat. Es braucht nicht um seinen Freßplatz zu kämpfen; nach Futter zu scharren; aus Pfützen und Jauchelachen zu trinken; Raubtiere und Greifvögel zu fürchten; es sei nicht den Unbilden der Witterung ausgesetzt; es lebe nicht in seinem Kot und sei gesund.

Ironischerweise sind einige dieser Argumente genau von jener Art, die ebenso für wie gegen die menschliche Zivilisation sprechen. Wir wissen, diese Zivilisation hat uns das Glück nicht gebracht, sie erzeugt ihre eigenen psychischen und physischen Krankheiten – dennoch würde kaum einer sie gegen die Härten und Risiken der Steinzeit eintauschen mögen. Im Schicksal selbst der Hühner – anfällig, schreckhaft, bewegungsarm, spezialisiert produktiv, in ihrem abgesicherten, hygienisch einwandfreien Minimalkomfortgefängnis zu Großherden zusammengepfercht – sehen wir unser eigenes gespiegelt.

Daß die Hochleistung Wohlbefinden bezeuge, ist ein schwaches Argument. Das auf Leistung gezüchtete Tier kann nicht anders als leisten: Eier bilden, Fleisch ansetzen. Daß es ihm dabei gut geht, beweist es noch lange nicht. Der Schweizer Ethologe Detlef W. Fölsch hat darüber hinaus nachgewiesen, daß Hennen mit schweren, schmerzhaften Verletzungen nicht weniger Eier legen als gesunde Hennen. Die Leistung taugt nicht als Gradmesser für das Wohlbefinden.

Ob und wenn wie stark das Huhn unter der Monotonie und Bewegungslosigkeit leidet, zu der der Käfig es verurteilt, kann die Ethologie nicht mit Sicherheit sagen. Da alle höheren Tiere auf ein optimales Reizniveau eingestellt sind, das nicht zu stark unter- und überschritten werden darf, und da wohl zu den reinen Freuden aller Wesen die artgemäße Betätigung aller gesunden Organe gehört, ist die Vermutung, daß die Käfigtiere frustriert sind, jedenfalls nicht unvernünftig, sogar ziemlich plausibel.

Fölsch hat einmal eine Schar echter Bankivahühner und eine moderne Hybridrasse frei gehalten und beide miteinander verglichen. Er fand, daß sie sich im Verhalten sogar erstaunlich wenig voneinander unterschieden. Bei einigen Linien sind Verhaltensbedürfnisse, für die im Käfig kein Raum ist, durch Züchtung dennoch deutlich vermindert worden, etwa die Brütigkeit; keineswegs jedoch alle und so radikal, wie es die Geflügelwirtschaft versichert.

Nicht abgezüchtet wurde ihnen vor allem die Suche nach einem geschützten Nestplatz zum Eierlegen. Daß sie ihn im Käfig nicht finden, stellt die schwerste Beeinträchtigung der Batteriehennen dar. Sie werden lange vor der Ablage unruhig, suchen umher, verfallen in Bewegungsstereotypen und Übersprunghandlungen, drängeln, unternehmen Ausbruchsversuche, kriechen oft unter den einzigen erreichbaren Schutz, eine andere Henne. Konrad Lorenz machte die mutmaßlichen Gefühle der Henne unübertrefflich klar: „Ihre instinktive Hemmung, im Gedränge von Artgenossen zu legen, ist sicherlich ebenso groß wie die von Kulturmenschen, in einer analogen Situation zu defäkieren.“

In der Schweiz verglichen Fölsch und Alfred Huber die Lautäußerungen von freien und von Käfighennen. Auf den Tonbändern der Käfighennen fanden sich weit mehr jener Gackellaute, die größte Unruhe vor der Eiablage signalisieren, und weniger freundliche Rangordnungslaute.

In England ließ Marian Dawkins die Hühner selber abstimmen. Sie konnten durch einen Tunnel entweder in einen Käfig oder ins Freie gelangen. Hühner, die im Auslauf gelebt hatten, wählten ausnahmslos sofort das Freie. Käfighennen zögerten und wählten bald den einen, bald den anderen Ausgang; waren sie aber einmal im Freien gewesen, kehrten sie immer wieder dorthin zurück. Auch wenn sie nur im Käfig Futter finden konnten, bleiben sie bei ihrer Präferenz für den Auslauf. Hühnern also ist ihre Feiheit durchaus lieb, sie nehmen für sie sogar Entbehrungen auf sich. Wer will sagen, Hühner seien zu dumm, um zu wissen, was sie gut finden?

 

WAS FÜR die Hennen gut ist, wollte das Bundeslandwirtschafts-ministerium wissen. Es berief Anfang der siebziger Jahre die beiden Parteien der sogenannten „Haltungswissenschaftler“ und der „Grundlagenethologen“ in eine Kommission, die ein Gutachten über artgerechte Hühnerhaltung ausarbeiten sollte. Der Ausschuß konnte sich nicht einigen. Beide Parteien veröffentlichten ihre Voten getrennt, das eine für, das andere gegen die Käfighaltung.

Daraufhin bekam die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig anderthalb Millionen Mark zusätzlich und den Auftrag, drei Haltungssysteme wissenschaftlich zu vergleichen: Käfig-, Boden- und Auslaufhaltung. Von 1976 bis 1980 wurden bei Celle drei „Durchgänge“ von Hühnern unter nahezu jedem erdenklichen Aspekt untersucht. In der Gruppe, die über das Großprojekt wachte, gab es unausgesetzt Zank mit persönlichen und fachlichen Verdächtigungen jeder Art, an den sich die Beteiligten heute nur noch mit Schaudern erinnern. Kurz vor Abschluß traten vier Mitglieder aus dieser Kommission aus. Das Projekt selbst war damit jedoch keineswegs „geplatzt“, wie Horst Stern 1980 im Spiegel argwöhnte. Die einzelnen Studien wurden wie geplant zu Ende gebracht. Im Februar 1982 wurde der Schlußbericht schließlich vervielfältigt – die schon im voraus berühmte und verrissene fast 700 Seiten starke „Celler Hühnerbibel“.

Auf die kürzeste Formel gebracht, ist das Ergebnis des Versuchs dies: Die Käfighaltung hat erhebliche wirtschaftliche und hygienische Vorzüge; in Boden- und Auslaufhaltung können sich die Tiere dagegen artgerechter verhalten und werden weniger frustriert.

Eins der interessantesten Einzelergebnisse war, daß auch die Bodenhaltung unter ethologischen Gesichtspunkten große Nachteile haben kann. Die Tiere können zwar laufen, flattern, scharren, sandbaden, haben Nester, jedoch hacken sie sich viel stärker als in Käfigen, vermutlich weil die Herdengröße „unnatürlich“ ist (freie Bankivas leben in Scharen von 20 bis 50 Tieren; übrigens keineswegs in Paaren, wie Brehm meinte), weil die Ställe zu dicht besetzt sind, weil Fluchtmöglichkeiten und Ordnung stiftende Hähne fehlen. Öfter kommt es zu Kannibalismus: Stülpt sich infolge einer Gewebeschwäche der „Legedarm“, die „Kloake“ einer Henne nach außen, so picken andere Hennen danach und reißen ihr in kürzester Zeit alle Eingeweide aus dem Leib. Gewöhnlich sagt man die Neigung zu Kannibalismus den Käfighennen nach; tatsächlich tritt er bei ihnen fast gar nicht auf, vermutlich weil die Tiere einfach zu eng stehen, um die aggressionsauslösenden Merkmale der Kumpane wahrzunehmen. Der Berner Ethologe Bert Tschanz kam zu dem Urteil, alle drei in Celle getesteten Haltungssysteme seien aus verschiedenen Gründen Tierquälerei.

 

HÜHNER WERDEN nicht aus Sadismus in Käfigen gehalten und auch nicht, wie eine Frau an den Spiegel schrieb, aus „brutaler, verbrecherischer Geldgier“, die unter Geflügelhaltern sicher nicht häufiger vorkommt als in anderen Berufen. Die Halter wollen von der Hühnerhaltung so gut es geht leben können, und um davon leben zu können, müssen sie konkurrenzfähige Produkte anbieten. Sie stehen unter dem Zwang des EG-Markts. Würde in der Bundesrepublik die Käfighaltung verboten, so würden vor allem die anderen kassieren. Holländer, Belgier, Franzosen und Engländer, die schon heute 27 Prozent des deutschen Eierbedarfs decken, warten nur darauf, Deutschland mit billigen Eiern beliefern zu können, also Eiern aus Käfighaltung. Eine einseitige Einschränkung der Käfighaltung in der Bundesrepublik hätte nur die Folge, daß „unsere“ Käfighühner nicht mehr auf deutschem Boden stünden, sondern in anderen EG-Ländern.

Die Agrarpolitiker aber werden von Tierschützern bedrängt. Immer wieder erhält der Bundeslandwirtschaftsminister Briefe wie den: „Mann müßte Euch die Tiere schänder so quellen wie die Ihr das mit den Tieren macht.“ Unter diesem Druck ist die Bundesrepublik vorgeprescht und hat 1980 von der schwerfälligen EG-Bürokratie gefordert, für den ganzen EG-Bereich zwischen 1983 und 1987 die Käfignormen heraufzusetzen. Sie ist damit nicht auf viel Gegenliebe gestoßen. Länder wie Frankreich und Italien, in denen die Tierschutzidee weniger lebendig ist, sehen nicht ein, warum sich ihre Halter für das – zudem auch nur mutmaßliche – Wohlergehen der Hühner in Unkosten stürzen sollen. Im Augenblick wird im Ministerrat in Brüssel, im Europaparlament in Straßburg, im Mai im Deutschen Bundestag über diese Normen beraten. Möglicherweise gibt es einen Kompromiß: eine längere Übergangszeit, 500 statt 450 Quadratzentimeter pro Henne, etwas höhere Käfige, etwas weniger schräge Gitterböden, etwas längere Freßtröge. Man könnte sagen: Für die Tiere wäre das besser als gar nichts, und wenn es das einzige politisch Erreichbare sei, so verdient es alle Unterstützung. Aber soviel Anstrengung diese neue EG-Richtlinie auch kostet: die Vorstellung, den Tieren damit einen Gefallen zu tun, ist reine Augenwischerei. Sie könnten sich nur unwesentlich mehr bewegen, sie könnten nicht scharren, nicht sandbaden, und vor allem fehlte ihnen weiter der Nestplatz. Wer wirkliche Veränderungen für die Tiere will, muß auf sehr viel drastischeren Reformen bestehen.

Die Politiker werden sie kaum durchsetzen; sie werden die deutschen Eierfabrikanten nicht vom Markt vertreiben. Aber auch hier sind es vielleicht die Gerichte, die Politik machen.

 

DAS DEUTSCHE Tierschutzgesetz von 1972 ist überaus explizit: Sein zweiter Paragraph schreibt vor, daß jedem Tier „artgemäße Nahrung und Pflege sowie eine verhaltensgerechte Unterbringung gewährt“ werden muß und daß „das artgemäße Bewegungsbedürfnis eines Tieres nicht dauernd und nicht so“ eingeschränkt werden darf, „daß dem Tier vermeidbare Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden“.

Die deutschen Gerichte haben bisher nicht viel Sympathie für die Käfighaltung erkennen lassen, 1976 erlaubte das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Zivilprozeß Bernhard Grzimek, von „KZ-Eiern“ und „KZ-Haltung“ zu sprechen. In den Jahren darauf wurden Käfighalter wiederholt wegen Tierquälerei angezeigt, Hunderte von Betrieben vor allem im Rheinland von der Polizei durchsucht. Die bisher wegweisende Entscheidung fällte 1979 das Oberlandesgericht Frankfurt.

Die Tierschutzanwälte Klaus Sojka in Hamburg und Eisenhart von Loeper in Nagold hatten den „Weilerhof“ bei Darmstadt wegen Tierquälerei angezeigt. Das Gericht kam angesichts der ausdrücklichen Forderungen des Tierschutzgesetzes und des Fehlens einer nationalen Verordnung für die Hühnerhaltung trotz der Uneinigkeit der Sachverständigen zu dem Schluß, daß „hinreichender Tatverdacht“ der Tierquälerei bestehe. Es erhob nur darum keine Anklage, weil dem Halter „das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit“ gefehlt habe.

Mit dieser Begründung, meinten die Tierschutzanwälte, käme der Halter nur einmal davon. Inzwischen müßte er das Urteil gelesen und ihm entnommen haben, daß die Käfighaltung möglicherweise strafbar sei. So zeigten sie den „Weilerhof“ noch einmal an. In diesem Frühjahr wird das Landgericht Darmstadt entscheiden, ob Klage erhoben wird. Es stehen lange und schwierige juristische Auseinandersetzungen bevor. Daß die Käfighaltung am Ende ohne Rücksicht auf die handfesten Interessen der deutschen Geflügelwirtschaft rundheraus verboten wird, ist nicht eben wahrscheinlich; denkbar  ist es.

 

EINE MINIMALFORDERUNG der Tierschützer und ihrer verschiedenen Verbände lautet: Die Eierpackungen sollten so gekennzeichnet sein, daß der Verbraucher weiß, aus welcher Haltung der Inhalt stammt. Es ist eine billige und vernünftige Forderung – Käfigeierschachteln könnten ja fröhliche Hühner hinter keimfreien Gittern zeigen. Aber auch diese Forderung zerschellt an der EG-Bürokratie. Da gibt es eine Verordnung, die vorschreibt, was auf der Packung angegeben werden muß; weitere Angaben darf sie nicht tragen. Die Chancen, andere EG-Länder dazu zu bringen, daß Käfigeier als solche deklariert werden müssen, sind gleich Null. Es bleibt nur die Möglichkeit, die Herkunft aus alternativen Haltungsformen zum Bestandteil der Warenzeichen zu machen. Darum kann in der Bundesrepublik heute auf manchen Packungen so etwas wie „Hühnerglück – Eier aus Bodenhaltung“ stehen. Ob es stimmt, dafür gibt es freilich keine amtliche Kontrolle.

So wirft die Käfighaltung verschiedenste Fragen auf: ökonomische, ethologische, lebensmittelhygienische, juristische, ethische. Ihre Gegner und ihre Befürworter denken in so verschiedenen Zusammenhängen, daß es zwischen ihnen keine Verständigung geben kann. Die Frage nach dem Maß an Leiden, das den Tieren auferlegt werden darf, kann die Wissenschaft nicht klären.

Immerhin aber arbeitet sie an einem praktischen Kompromiß. In Celle, Holland und der Schweiz werden sogenannte Get-away-Käfige erprobt: größere Käfige mit Sitzstangen, Nest und Sandbad für zwanzig bis dreißig Hühner, wo sie sich artgerechter verhalten könnten, ohne daß der ökonomische und hygienische Vorteil der Käfighaltung preisgegeben werden muß. Praxisreif sind sie noch nicht. Ihr Hauptproblem bildet das Sandbad, ohne das ein artgerechter Käfig aber nur eine halbe Sache wäre: Zu oft legen die Hühner die Eier nicht ins Nest, sondern in den Sand. Ein anderes System wird ebenfalls in Celle, dazu an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich erprobt: die Voliere – im wesentlichen ein Stall für Bodenhaltung, aber mit eingezogenen Sitzstangen, die es den Hühnern erlauben, den Raum auch in der Höhe zu nutzen, und ihre Verhaltensmöglichkeiten bereichern. Beide Systeme verdienen es, daß mit ihnen weiter experimentiert wird. Sollten Gerichte gegen die Käfighaltung entscheiden, so müßte es auch die Wirtschaft zufrieden sein, in ihnen eine Alternative zu erhalten. Sie wird am Ende genau jene Eier erzeugen, die die Verbraucher wünschen und zu bezahlen gewillt sind.

Eine Alternative außerhalb der Intensivhaltung, die Rückkehr in die Zeit vor der Industrialisierung der Landwirtschaft, gibt es nicht, so sehr vielen das Herz daran hängen mag. Wir sind viel zu viele, zu Hungrige, zu Anspruchsvolle. Von der Beschämung darüber, wie tief wir unsere Beutetiere in unser eigenes industrielles Glückselend hineingezogen haben, wird uns niemand und nichts befreien.

 


 

Auskünfte für Eier-Esser

 

EIER SIND sind größer oder kleiner – bei Beginn der Legeperiode eher klein, zum Ende hin werden sie größer; die Schale wird dünner, delliger – zum Teil läßt sich das durch die Fütterung von kalkhaltigem Muschelschrot ausgleichen. Nach ihrem Gewicht werden sie in sieben Klassen eingeteilt: Klasse eins enthält die größten, sieben die kleinsten. Das mittlere Ei enthält außer Wasser, Fetten, Mineralien, Lecithin und Vitaminen vor allem im Dotter etwa sieben Gramm hochwertigste Proteine.

Eier sind weiß oder braun. Die Farbe hängt nur von der Hühnerrasse ab. Die meisten weißen Eier stammen von weißen Hennen, die meisten braunen von braunen; es gibt aber auch braun legende weiße Rassen und weiß legende braune. Die „natürliche“, nämlich in der Natur sicherere Eierfarbe ist wohl Braun. Die weißen Eier sind auffälliger und wahrscheinlich frühe Zuchtprodukte. In Nährstoffgehalt und Geschmack unterscheiden sich weiße und braune Eier nicht. Im Durchschnitt sind die braunen Schalen etwas härter und stärker. Die Hälfte der Verbraucher bevorzugt weiße, die andere Hälfte braune Eier.

Im Gegensatz zu dem, was die meisten Eieresser felsenfest glauben, haben Blindtests ergeben, daß sich am Geschmack des Eis nicht erkennen läßt, ob es aus Käfig-, Boden- oder Auslaufhaltung stammt. Bei Boden- und Auslauf-Eiern sind durch die häufigeren Verschmutzungen Schale, Innenhaut und zuweilen auch Dotter stärker mit Keimen besiedelt als bei Käfigeiern, und somit ist das Risiko des Verbrauchers, an ein (etwa mit Salmonellen oder Coli-Keimen) kontaminiertes Ei zu geraten, etwas höher.

Dunklere Dotter gelten in Deutschland als „gesünder“. Es ist ein bloßes Vorurteil: Für Geschmack und Nährwert spielt die Dotterfarbe keine Rolle.

Der einzige Unterschied, der sich deutlich herausschmecken läßt, ist die Frische. Die Eierpackung trägt die Nummer der Jahreswoche, in der der Inhalt gelegt wurde. Ob nicht gelegentlich ältere Eier in eine Packung gemogelt werden, ist eine andere Frage. Der Verbraucher kann die Frische selber nachprüfen: Frisch liegen die Eier in kaltem Wasser flach auf dem Boden; je älter das Ei wird, desto mehr dehnt sich die Luftkammer am stumpfen Ende – in kaltem Wasser richtet sich das Ei auf, steht schließlich auf der Spitze und schwimmt am Ende sogar. Frische Eidotter sind kugelig, Eiklars gallertartig; je älter das Ei wird, desto mehr zerlaufen beide. Bei unter vier Tagen alten gekochten Eiern läßt sich die Schale schwer ablösen. Trocken und kühl gelagert (zwischen 10 und 12 Grad), bleiben Eier mindestens drei Wochen lang absolut frisch.

Wenn Blut- oder Fleischflecken im Ei sind, heißt das nicht, daß das Ei angebrütet ist: Hennen in den Intensivhaltungen bekommen in ihrem ganzen Leben nie einen Hahn zu Gesicht. Die Flecken gehen vielmehr auf Funktionsstörungen im Eierstock zurück.

Wenn manche Eier nach Fisch schmecken, so besagt das nicht, daß den Hennen Fischmehl gefüttert wurde. Viel fettes Fischmehl erzeugt zwar auch Fischgeschmack im Ei und im Fleisch, ist aber seit Jahren schon zu teuer, um als Hühnerfutter verwendet zu werden. Der notwendige Eiweißanteil im Hühnerfutter ist heute in der Regel Soja. Ein etwaiger Fischgeschmack geht auf eine Stoffwechselstörung der betreffenden Henne zurück; sie wird verstärkt durch die Zufütterung von Raps.

Medikamente dürfen Legehennen nicht verabreicht werden. Müssen sie bei akuten Krankheiten welche erhalten (Antibiotika, Wurmmittel), so dürfen ihre Eier so lange nicht in den Handel gebracht werden, bis diese Medikamente im Körper abgebaut sind. Ob die strengen Vorschriften tatsächlich immer eingehalten werden, ist eine andere Frage.

Über das Futter und das Trinkwasser nehmen die Hühner vielerlei Chemikalien auf: etwa die Rückstände von Pestiziden und künstlichen Düngemitteln, Nitrate, eventuell Schwermetalle. Einiges davon wird sich auch in den Eiern wiederfinden. „Biologische“ Geflügelhöfe, die ihre Eier etwa über die Reformhäuser vertreiben, geben sich größte Mühe, die Eier frei von solchen Rückständen zu machen.

Für den Tierfreund unter den Eierkäufern am interessantesten ist die Frage, aus welchen Haltungssystemen die Eier stammen und ob er den Hühnern etwas Gutes tun kann. Eier aus Bodenhaltungen sind etwa fünf Pfennig teurer als Käfig-Eier: vor allem weil die Hühner scharren, sich bewegen und darum mehr fressen; und weil Bodenhaltungen mehr Arbeit machen: Bei Käfighaltung kann eine Person 15 000 Hennen warten, bei Bodenhaltungen hat sie mit 3000 genug zu tun.

Einige Illusionen muß sich der Käufer von Boden-Eiern abschminken: Die Aufdrucke auf den Packungen („käfigfrei“, von „freilaufenden Hühnern“) suggerieren ihm das Bild glücklich im Freien lebender Hühner – die aber gibt es so gut wie gar nicht mehr. Auch die meisten Bodenhaltungen sind Intensivhaltungen: fensterlose Ställe, auf deren Boden sich riesige Hühnerherden drängen, sechs Tiere pro Quadratmeter oder mehr. Sie können sich bewegen, scharren, sandbaden und vor allem ihre Eier in geschützte Nester legen; aber bei manchen Bodenhaltungen mit zu dichtem Besatz und in zu strukturarmen Räumen kommt es dafür zu blutigen Hackereien, teilweise zu Kannibalismus. Bei strengen tierschützerischen Ansprüchen müßten also auch viele Bodenhaltungen abgelehnt werden. Außerdem kann der Verbraucher nie völlig sicher sein, daß eine Packung, deren Aufdruck ihm Bodeneier verspricht, tatsächlich auch immer nur Bodeneier enthält – amtliche Kontrollen gibt es nicht. Die Versuchung, beim Packen zu schummeln, ist groß.

Über die Frage, ob gekochte Eier am spitzen oder am stumpfen Ende aufgeschlagen werden, hat Jonathan Swift einen Krieg ausbrechen lassen. Dazu ist zu sagen: wer sein Ei aufpickt, tut es besser am stumpfen Pol mit der Luftkammer; wer es aufschneidet, am spitzen. Eine spitzfindige Frage ist, mit welchem Pol voran das Huhn das Ei legt. Die Antwort ist enttäuschend: mal so, mal so.

 

Da in diesem Dossier vieles nur angerissen werden konnte oder ganz ausgelassen werden musste, habe ich anschließend auch ein Buch zum Thema geschrieben: Hühner – Tiere oder Eiweißmaschinen? rororo Sachbuch Nr.7748, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1983. Unter diesem »Link finden sich ein paar Auszüge daraus.

 

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